Erlebnisbericht zum „Sea Survival“ Kurs am Maritimen Kompetenzzentrum Elsfleth.
Und dann geht das Licht aus.
Dunkelheit umfängt uns, dichter und schwerer als die tiefste Nacht auf See. Ein Moment lang halten wir den Atem an. Die Stille wird durch das ohrenbetäubende Aufheulen der Windturbinen durchbrochen, die einen Sturm der Stärke 8 Beaufort simulieren. Stroboskoplichter blitzen wie entfesselte Blitze auf, die unsere Augen blenden und die Orientierung erschweren. Die Luft ist erfüllt von der Feuchtigkeit, die von den gewaltigen Wellenmaschinen emporgewirbelt wird. Wir sind nicht mehr in der sicheren Halle des Maritimen Kompetenzzentrums Elsfleth, sondern mitten in einer tobenden See.
In dieser beklemmenden Szenerie beginnt der praktische Teil des „Sea Survival“ Kurs, an dem wir, eine Gruppe DSCL Segler, teilnehmen. Jeder von uns weiß, dass diese Simulationen lebensrettend sein können. Ein einziger Fehler kann auf offener See fatale Folgen haben. Der Ausbilder von Marikom versteht es meisterhaft, die Schrecken eines echten Seenotfalls nachzubilden: In dicke Überlebensanzüge gehüllt, die unsere Bewegungen einschränken und die Sicht stark einschränken, erhalten wir den Befehl zur Notwasserung.
Einer nach dem anderen springen wir aus mehreren Metern Höhe in die aufgewühlten Wellen. Das Wasser schlägt über uns zusammen, dunkel und unbarmherzig. Der enge Anzug lässt jede Bewegung zur Anstrengung werden, während die Gischt uns den Atem raubt. Kaum im Wasser, hören wir die Anweisung: „Kreis bilden!“ Wir greifen nach den Armen unserer Mannschaftskollegen. Die Nähe beruhigt etwas, doch das überschwappende Wasser und der eingeengte Bewegungsradius lösen immer wieder kurze Panik aus.
Der Ausbilder gibt das nächste Kommando: „Kette bilden und zur Rettungsinsel schwimmen, im Viererverbund!“ Rückwärts schwimmend, Beine um die Hüfte des nächsten Körpers geklemmt (wessen Körper das ist, lässt sich höchsten erahnen), mühsam den Kopf über Wasser haltend, kämpfen wir gegen die Wellen. Das Atmen fällt schwer, die Bewegungen sind hart und ungewohnt. Immer wieder verschluckt sich jemand, doch das koordinierte „Hopp, Hopp, Hopp, …!“ der Kameraden, um die Schwimm-Bewegungen zu synchronisieren, gibt Halt und Sinn in dieses wilde Durcheinander.
Es ist eine Erfahrung, die uns an unsere Grenzen bringt – physisch und psychisch. In diesen Momenten realisieren wir, wie wichtig Vorbereitung und Training sind. Jeder von uns hat Geschichten von tragischen Unglücken auf See gehört, bei denen die Zeit zum Handeln knapp war und die richtigen Maßnahmen über Leben und Tod entschieden haben. Hier, im simulierten Chaos, wächst unser Respekt vor der See und der Naturgewalt, die sie darstellt. Wir lernen, dass jeder von uns eine tragende Rolle spielt, wenn es um das Überleben in Extremsituationen geht.
Und so, umgeben von Dunkelheit und tobenden Elementen, formt sich in uns eine Gemeinschaft – eine Mannschaft, die in der Lage ist, einander in den schwersten Zeiten zu unterstützen. Das ist die tiefgehende Lektion des „Sea Survival“ Kurses: Vertrauen und Zusammenarbeit sind der Schlüssel zum Überleben.
Das Überleben nämlich beginnt im Kopf. So wird der praktische Teil unseres „Sea Survival“ Kurses von zwei theoretischen Blöcken begleitet. Der erste Theorieteil findet vor der Praxis statt und widmet sich den Verhaltensweisen im Wasser, den Überlebensanzügen und den Rettungswesten. Hier lernen wir die Unterschiede und die Eignung der verschiedenen Ausrüstungsgegenstände kennen.
Unser Ausbilder Jens ist erfahrener Berufsnautiker, der sich in seinem Job um die Sicherheit auf Offshore-Windparks kümmert. Seine tiefgehenden Erfahrungen sind für uns von unschätzbarem Wert. Mit seinem nordisch-herben Gemüt spricht er Klartext und gibt uns praxisnahe Einschätzungen zu den sachlichen Informationen. Seine Worte sind nicht beschönigend, sondern direkt und ehrlich, was uns die Ernsthaftigkeit der Situation umso deutlicher macht.
Er erklärt uns detailliert, wie man sich im Wasser verhalten muss, um die Überlebenschancen zu maximieren. Wir erfahren, wie wichtig es ist, ruhig zu bleiben, Energie zu sparen und den Körper so zu positionieren, dass die Wärme erhalten bleibt. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Überlebensanzügen und Rettungswesten werden genau besprochen.
Besonders eindrucksvoll bleibt uns ein klares Statement des Ausbilders im Gedächtnis: „Einige Solo-Segler tragen Mitte Atlantik keine Rettungswesten, dann geht es wenigstens schnell.“ Was im ersten Moment schockierend klingt, folgt ganz pragmatisch analytischer Gedanken. Selbst mit Rettungsweste ist die Überlebenschance bei einer Person-über-Bord Situation eines Solo-Seglers im offenen Meer so gering, dass manche Segler lieber den schnellen Abschied in Kauf nehmen, anstatt lange Zeit in Angst und Verzweiflung auf dem Meer zu treiben. Und das ohne alternatives Ende.
Diese harten Wahrheiten bereiten uns mental auf den kommenden praktischen Teil vor. Wir erkennen, dass Überleben auf See nicht nur eine Frage der körperlichen Fitness und der richtigen Ausrüstung ist, sondern auch eine der mentalen Stärke und der richtigen Vorbereitung.
Zurück im Wasser und bei der nächsten Übung: das Bergen aus dem Wasser durch einen Helikopter. Der enorme Down-Wash wird dabei realitätsnah simuliert. Die vertikale Luftturbine erzeugt einen starken Luftstrom wie ein Helikopter, der über uns schwebt. Wir müssen lernen, uns trotz dieser widrigen Umstände ruhig zu verhalten und auf die Anweisungen des Ausbilders zu vertrauen. Das Gefühl, aus dem aufgewühlten Wasser emporgezogen zu werden, ist gleichermaßen befreiend und furchteinflößend.
Die nächste Aufgabe erfordert Teamarbeit: das Bergen einer bewusstlosen Person. Mit zwei Schlingen und einem speziellen Netz, dem sogenannten Jason’s Cradle, müssen wir den Verunglückten sicher aus dem Wasser holen. Das Wasser macht die Handgriffe schwerfällig. Doch jeder von uns weiß, wie wichtig es ist, zusammenzuarbeiten und präzise zu handeln. Der Ausbilder und seine Rettungsschwimmerin Martha, die wohl einen der coolsten Mini-Jobs der Welt hat, überwachen jeden unserer Schritte und korrigieren uns, wo nötig. Mit Fokus und klarer Absprache gelingt es uns, die Person sicher zu bergen. Die Erleichterung ist groß, doch die Anspannung bleibt.
Zuletzt steht die vielleicht unterhaltsamste Übung an: das Aufrichten der Rettungsinsel. Einzeln kann nicht nur die Rettungsinsel umgedreht werden, sondern gleichzeitig eine verletzte Person eingeholt werden, die absichtlich in den Hohlraum der verkehrt herum liegenden Insel gelegt wurde. Die Anweisungen sind klar und unser Teamgeist unerschütterlich. Stück für Stück kämpfen wir uns voran, bis die Insel aufgerichtet und die verletzte Person in Sicherheit ist.
Aus der Finsternis – Rettung beginnt mit Sichtbarkeit.
Nachdem wir die körperlich und mental herausfordernden praktischen Übungen hinter uns gebracht hatten, widmeten wir uns einem ebenso wichtigen Thema: dem Inhalt des Notfall-Packs der Rettungsinsel. Der Ausbilder zeigte uns detailliert, welche Gegenstände in einer solchen Notfallausrüstung enthalten sind und wie man sie effektiv nutzt. Das Notfall-Pack einer Rettungsinsel enthält lebenswichtige Gegenstände wie Trinkwasser, Nahrungsrationen, Erste-Hilfe-Material, ein Reparaturset für die Insel und Werkzeuge zum Sammeln von Regenwasser. Wir lernten, wie man Nahrung und Wasser rationiert. Maßnahmen die überlebenswichtig sind, wenn man auf offener See auf Rettung warten muss.
Intensiv wurden auch die Notfall-Signalmittel besprochen. Von Notfunk, EPIRB, SART über Rauchtöpfe und Leuchtraketen bis hin zu Fahnen und Signalspiegeln – wir erfuhren, wie man diese Mittel korrekt einsetzt, um in einer Notsituation auf sich aufmerksam zu machen. Denn nur wer gesehen wird, kann auch gerettet werden.
Zum krönenden Abschluss durften wir dann nochmals raus und die Leuchtfackeln und Rauchtöpfe in der Praxis einsetzen. Unter der Anleitung unseres Ausbilders zündeten wir die verschiedenen Signalmittel, lernten ihre Handhabung und sahen, wie sie auch bei Tageslicht wirken. Es war ein eindrucksvolles Erlebnis, das uns die Bedeutung der Sichtbarkeit auf See eindringlich vor Augen führte.
Die Anstrengungen und die Erlebnisse des Tages hatten uns zusammengeschweißt. Wir hatten nicht nur gelernt, wie man in Notsituationen richtig handelt, sondern auch, dass Kameradschaft und Teamarbeit unerlässlich sind, um solche Herausforderungen zu meistern. Jeder von uns wusste, dass er sich auf die anderen verlassen konnte.
Wissen, Respekt und Erfahrung machen den Unterschied zwischen Leben und Tod aus – das war die wichtigste Erkenntnis dieses Kurses, einhergehend mit einem tiefen Gefühl der Demut. Oder um es in den Worten von Gorch Fock zu sagen, die ruhig mahnend an der Wand im Maritimen Kompetenzzentrum Elsfleth prangern:
„Du kannst dein Leben nicht verlängern noch verbreitern, nur vertiefen.“